Liebe Leserinnen und liebe Leser!
Still und stet rieseln Stunden, Tage, Jahre dahin - wie der Sand im Glas einer Sanduhr. Wie voll wohl noch die obere Schale ist? Das weiß kein Mensch. Und unten? Da hat sich schon vieles angesammelt, manche farblosen und dunklen Sandkörner, aber auch Goldkörner, die aus der Vergangenheit herausblitzen. Gott schenkt uns Zeit! Das ist etwas Beglückendes. Die alten Griechen hat es aber auch erschreckt. Sie nannten die Form der fließenden Zeit Kronos und stellten sie in ihrer Mythologie als Gottheit mit Sense dar, die ihre Kinder verspeist. Sprichwörtlich: Die Zeit frisst ihre Kinder. Unter der Herrschaft des Kronos erblüht zwar das goldene Zeitalter, aber immer nur in unerreichbarer Ferne, nämlich in dem, was längst vergangen ist, oder dem, was kommend erhofft wird. Aber die Griechen hatten noch einen zweiten Begriff für die Zeit, nämlich den Kairos. Der Kairos ist der einzigartige Jetzt-Moment. In der Sanduhr ist es das Sandkorn, das gerade durch den engen Hals rutscht. In der Mythologie wurde der Kairos als jugendlicher Gott dargestellt mit einer speziellen Frisur: Vorne ein ordentliches Haarbüschel, hinten glattrasiert. Du musst die Jetzt-Zeit beim Schopfe fassen, sonst bekommst du sie nicht mehr in die Hände!
Gott schenkt Zeit. Die Zeit, die fließend manche Goldkörner mit sich trägt, und die einzigartige Jetzt-Zeit, die Gnade des Augenblicks, der gerade geschieht und in dem ich mich für Jesus Christus entscheiden darf, damit die Ewigkeit nicht gefüllt ist von meiner Gottesferne, sondern von seinem lebendigen Frieden.
Denn das ist das Dritte: Gott schenkt Ewigkeit. Wenn uns hier auf Erden die Zeit entgeht, weil sie wie ein Stäublein vom Wind davongetragen wird, so wartet dort ein unausschöpflicher Ozean. Ich wünsche Ihnen in dieser Herbstzeit, in der das Jahr wieder auf das letzte Viertel einbiegt, dass nicht die Traurigkeit und Beklemmung das Beherrschende ist, sondern die dankbare Freude über das, was Gott schon im Kleinen immer wieder geschenkt hat und noch überreich schenken wird.
Herzlich grüßt Sie
Ihr Pfarrer Friedemann Krumbiegel